Titel
Ham and Eggs in Palestine. The Auguste Victoria Foundation 1898-1939


Autor(en)
Wawrzyn, Heidemarie
Erschienen
Marburg 2005: diagonal-Verlag
Anzahl Seiten
124 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roland Löffler, FB Evangelische Theologie, Philipps-Universität Marburg

Wer vom Jordantal nach Jerusalem fährt oder von der Altstadt Richtung Ölberg sieht schon aus weiter Ferne einen mächtigen, neo-romanischen Turm, der trutzig die Heilige Stadt zu überragen scheint. Der mächtige Ausguck gehört zur imposanten deutschen evangelischen „Auguste-Viktoria-Stiftung“, die heute ein vom Lutherischen Weltbund finanziertes Krankenhaus in ihren Mauern und das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes auf seinem Grundstück hat.

Der Geschichte dieses 1910 vom Kronprinzen Eitel-Friedrich von Preußen eröffneten und nach der Kaiserin benannten Prachtbaus hat sich die Historikerin Heidemarie Wawrzyn gewidmet, die seit sieben Jahren in Israel lebt und arbeitet und sich mit dem Antisemitismus in der deutschen Frauenbewegung auseinandergesetzt hat. Die Themenkreise „Judentum“ und „Gender-Problematik“ spielen auch in ihrem neuen Buch mit dem etwas verwirrenden, weil auf die englische Frühstücksgebräuche anspielenden Titel „Ham and Eggs in Palestine. The Auguste Victoria Foundation 1898-1939“ eine Rolle. Die Wahl einer gedächtnis- und religionsgeschichtlich bedeutsamen Lokalität, die – wie Wawrzyn zeigt – eigentlich am Abhang des Skopus-Berges und nicht auf dem Ölberg als Ort der Himmelfahrt liegt, muss im Kontext der erinnerungspolitischen Hegemonie-Bemühungen der Hohenzollern-Monarchie verstanden werden. Die von Wilhelm II. auf seiner berühmten Orientreise 1898 eröffnete evangelische Erlöserkirche auf dem Muristan in der Nähe der Grabeskirche, die Weihnachtskirche in Bethlehem und schließlich die Dormitio Abtei auf dem Zionsberg verdeutlichten, mit welchem kultur- und theologiegeschichtlichen Gespür das preußische Herrscherhaus in einer kaum vergleichbaren „Einheit von Thron und Altar“ den Protestantismus im Heiligen Land verankern und sich gleichzeitig eine geschichtstheologische Legimitation des noch jungen Kaisertums verschaffen wollte. Dass der an heiligen Orten grundsätzlich desinteressierte Protestantismus eine große Leidenschaft für das Land der Bibel entwickelte, erklärt Wawrzyn aus dem Gedanken des „friedlichen Kreuzzuges“ („peaceful crusade“), dem sich nicht zuletzt Kaiser Wilhelm II. verbunden wusste. Diesen Aspekt pointiert herausgearbeitet zu haben (S. 14ff; 124ff.), gehört zu den Stärken von Wawrzyns Buch, wobei ihre These, dass „more than other nations, Germany used the term ‚Crusade’ to define its Holy Land policy“ (S. 124) etwas steil ist bzw. hätte in einem geistesgeschichtlichen Vergleich mit französischer, italienischer oder österreichischer Literatur noch stärker belegt werden müssen. Wawrzyns Hauptargument ist architektonischer Natur und auf diese Weise dann schlüssig: Im architektonischen Vergleich mit den einige Jahre vor der Ölberg-Stiftung entstandenen russischen, englischen und österreichischen Kirchen- und Kulturbauten in Jerusalem baute das auf kulturimperialistischem Gebiet noch recht junge Deutsche Reich als einziges Land ein Gebäude im Kreuzfahrerstil. Der Kaiser ließ sich als Kreuzritter-Statue verewigen, seine Gattin im Stile einer mittelalterlichen Herrscherin, die die Kirche trägt. Ein Gemälde im Inneren zeigt das kaiserliche Paar mit acht Kreuzrittern. (Abbildung 69; Interpretation S. 122f.) und die Reden beim festlichen Eröffnungsmahl bezogen sich auf die Kreuzzüge, was Wawrzyn zu dem Schluss führt: „By using the term, style and symbols of the Crusaders, the German Protestants of the AVF (Auguste-Victoria-Foundation, R.L.) clearly indicated their intention of a Christian conquest of the Holy Land.“ (S. 122) Über dieses zugespitzte Urteil kann man streiten – zumindest in welcher Hinsicht man „conquest“ im Kontext der wilhelminischen Weltpolitik und der damit verbundenen deutsch-osmanischen Freundschaft interpretieren soll: real-politisch-militärisch oder eher kultur- und symbolpolitisch?

In ihrer Schlussbetrachtung relativiert Wawryzn ihre zugespitzte These etwas, wenn sie darauf verweist, dass sich die Idee des friedlichen Kreuzzugs nicht nur in der neo-romanischen Architektur der Auguste-Victoria-Stiftung niederschlug, sondern im Transfer deutscher Wertvorstellungen und Kultur nach Palästina. Das geschah nicht selten im Verbund mit einer kulturimperalistischen und chauvinistischen Attitüde. (S. 128) Im Detail zeigte sich jedoch, dass Idee und Umsetzung nicht unbedingt leicht Hand in Hand gingen. Trotz der engen kaiserlichen Kontakte zur Pforte brauchte der Landkauf und der Bau des Gebäudes Zeit, ging es doch um den Erwerb von fast 100.000 qm Land und ein Baufinanzierungsvolumen von fast 3 Millionen Goldmark. (S. 21-25) Das erste Land wurde 1903 erworben, der Bau aus der Feder des Berliner Architekten Leibnitz 1907 begonnen und 1910 mehr oder weniger fertig eröffnet. Die deutschen Bauherren waren mit der Arbeitsmoral der einheimischen Arbeiter unzufrieden, die allerdings auch das damals wohl aufwändigste und modernste Ensemble des Landes zu schaffen hatten, in dem es erstmals im Heiligen Land elektrisches Licht in jedem Zimmer, acht Bäder und zehn Toiletten mit fließendem Wasser gab. Wawryzn deutet in diesem Zusammenhang kritisch an, ob der Aufwand für ein bescheiden als „Hospiz“ bezeichnetes Luxushotel samt der mit Mosaiken reich geschmückten Himmelfahrtskirche für deutsche Gäste, Missionare und Diakonissen zu einer Zeit gerechtfertigt war, in der Palästina ein rückständiges und zum Teil armes Land war, das ja gerade durch den friedlichen Kreuzzug entwickelt bzw. wiederaufgebaut werden sollte. (S. 18, 25). Immerhin nahm sich die Auguste-Victoria-Stiftung vor, arabische Mädchen in Haushaltsdingen auszubilden, was jedoch weniger erfolgreich war als geplant. Für den Betrieb des festungsartigen Baus, der von manchen Einheimischen ängstlich als mögliches „bulwark for military and security measures“ (S. 35) angesehen wurde, warb die Hohenzollern-nahe Pfingsthaus-Stiftung in Potsdam unter der Leitung des um den Kirchenbau sehr bemühten Oberhofmeisters von Kaiserin Auguste Viktoria, Ernst von Mirbach, Kaiserswerther Diakonissen an, die Wawrzyn in katholischer Diktion missverständlich als „Order of Kaiserswerth“ bezeichnet. (Ähnlich unglücklich erscheint mir die Übersetzung ‚Jerusalem Society’ statt ‚Association’ für die Missionsgesellschaft ‚Jerusalemsverein’). Der neue deutsche Treffpunkt wurde von der 2000köpfigen deutschen nicht-jüdischen Diaspora in Palästina allmählich angenommen, verwandelte sich aber im Ersten Weltkrieg in das Hauptquartier der deutsch-türkischen Armeeeinheiten und wurde nach der Eroberung des Landes durch die Briten 1917 zum Sitz des britischen Hohen Kommissars des neuen Mandatsgebiets „Palästina“, der einen Mietvertrag bis 1928 unterzeichnete. Ein Erdbeben 1927 erschütterte auch die Grundfesten der Stiftung und fügte ihr erheblichen Schaden zu. Die britische Regierung verließ das Gebäude und ein jahrelanger, erbitterter Rechtsstreit über Reparaturkosten und noch ausstehende Mietzahlungen begann. Die deutschen Besitzer suchten derweil nach einer neuen Nutzungskonzeption, ohne aber vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu einer sinnvollen und praktikablen Lösung zu kommen. Während die Kaiserwerther Diakonissen für eine soziale Nutzung des Hauses warben, suchte der Vorstand in Deutschland nach neuen Einnahmequellen für die im Betrieb teure Anlage. (S. 46ff). Immerhin erlebte die Stiftung mit der Weltmissionskonferenz 1928 ein kirchengeschichtliches Highlight.

Aufgrund der baulichen Schäden und der eingeschränkten Nutzung konnte die Stiftung bis zum Zweiten Weltkrieg – sieht von einigen nationalen Festen ab – niemals ihrer eigentlichen Bedeutung als kulturpolitisches Aushängeschild des Deutschen Reiches gerecht werden. Das hinderte die deutschen Hausherren aber nicht daran, Juden und Araber mit einer gewissen Arroganz zu behandeln. In der Zeit des Landkaufs galten die arabischen Geschäftspartner als geldgierig und verschlagen. (S. 58) In der Zeit des wachsenden Antisemitismus im Dritten Reichs, in der sich auch in Palästina eine NSDAP-Landesgruppe bildete, sympathisierten die Palästinadeutschen sehr viel stärker mit den Arabern als den Juden. (S. 64) Der häufiger diskutierte Verkauf der Stiftung an die benachbarte Hebräische Universität erschien gerade in diesem Zusammenhang als unvorstellbar.

Bedauerlicherweise bricht das Buch genau zu dem Zeitpunkt ab, in dem die Ölberg-Stiftung an Kaiserswerth (1936) übergeht. Die schwierige Phase der Neuplanung bis zum Kriegsausbruch und auch die Umstrukturierung nach dem Zweiten Weltkrieg geraten deshalb leider aus dem Blick. Dabei wird es gerade dann spannend, weil das Haus nach 1948 vom Lutherischen Weltbund als Unterkunft und Krankenhaus für palästinensische Flüchtlinge im geteilten Jerusalem genutzt wird. Die Thematik ist reizvoll, Wawrzyns Darstellung ist trotz mancher Doppelungen sehr informativ, gerade weil es ihr gelingt die bereits – zumeist in Aufsätzen, Broschüren, Buchkapiteln – veröffentlichte Literatur mit leichter Hand zusammenzuführen. Allerdings lässt sich kritisch fragen, ob sich die Autorin mit der Kürze des Buches wirklich einen Gefallen getan hat. Mancher Gedanke und Abschnitt hätte eine Vertiefung verdient; theoretische Überlegungen etwa zur Mentalitätsgeschichte der Auslandsdeutschen, eine Rückwindung der Ereignisse in Palästina an die Entwicklungen in Deutschland fallen recht knapp aus und die theologischen Exkurse etwa zu Martin Luthers Antisemitismus greifen mitunter zu kurz. Eine Übersicht über die in Jerusalem eingesetzten Schwestern, die genaue Struktur des Verhältnisses von Pfingsthaus-Stiftung als Träger zur Kaiserswerther Diakonie inklusive der personellen Zusammensetzung der Vorstände wäre eine kurze Darstellung wert. Auch lässt sich fragen, ob die Auguste-Victoria-Stiftung wirklich der eigenständige Akteur war, als der sie phasenweise in Wawrzyns Buch erscheint. Gerade bei den Ausführungen zum Dritten Reich scheinen doch andere Persönlichkeiten des Palästinadeutschtums stärker involviert als die Kaiserswerther Diakonissen, von denen die eine oder andere auch NSDAP-Mitglied gewesen sein mag, ohne aber eine Führungsposition in der NSDAP-Landesgruppe eingenommen zu haben.

Ein Forschungsdesiderat, das allerdings auch im Kontext des AVS-Buches nicht hätte gefüllt werden können, bleibt eine eigenständige Biographie der langjährigen und in den Jerusalemer kirchlichen wie politischen Kreisen hoch geachtete Oberschwester Theodore Barkhausen, die Tochter eines nicht minder prominenten Protestanten, nämlich des langjährigen Präsidenten des preußischen Oberkirchenrats, Friedrich Wilhelm Barkhausen. (S. 37-51) Eine derartige Untersuchung wäre deshalb hilfreich, weil gerade im Bereich der deutschen Missionsgeschichtsschreibung Biographien, noch dazu solche profilierter Frauen „on the spot“ fehlen. Allerdings dürfte die Autorin auch vor dem Problem gestanden haben, zum Zeitpunkt ihrer Archivstudien nicht Zugang zu den relevanten, damals noch recht ungeordneten Kaiserwerther Archivalien gehabt zu haben. Vielleicht bietet Frau Wawrzyns Buch Anregung für weitere Studien, denn auch das weitverzweigte Netz Kaiserswerther Hospitäler und Sozialstationen im Nahen Osten ist bisher noch nicht ausreichend aufgearbeitet, das Archiv der Kaiserswerther Diakonie in der Fliedner-Kulturstiftung seit neuestem dagegen schon.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension